Die aktuelle globale Situation erfordert einen tief gehenden Wandel in unseren Umgangsformen mit der Natur. Und es ist wohl nicht damit getan, dass wir andere, „sauberere“ Technologien entwickeln und einsetzen – es geht um Grundlegenderes.
Die Natur wurde immer zwiespältig erfahren: ein Paradies das uns alles für ein gutes Leben zu Verfügung stellt, zugleich aber sind wir völlig von ihr abhängig, sie bedeutet auch Bedrohung, Hunger, Krankheit und Tod – wurden wir doch aus dem Paradies vertrieben und haben im Schweiße unseres Angesichts zu arbeiten.
Francis Bacon hatte vor mehr als vierhundert Jahren das Motto ausgegeben: Wir müssen der natura – die Natur wurde allegorisch als weibliches Wesen dargestellt – „die Daumenschrauben anlegen“, damit sie ihre Geheimnisse preisgibt. Es gelte, sichere Gesetze aufzustellen, welchen die widerspenstige Natur gehorchen muss.
Die Sprache der Natur sei die Mathematik, sagte Galileo Galilei, einer der „Väter“ der neuzeitlichen Physik und Naturwissenschaften, und untersuchte penibel die Fall- und die Wurfbewegung (Kanonenkugeln), die wiederholbar immer wieder auf dieselbe Weise ablaufen. Er war fasziniert von den exakten geometrischen Figuren, auf welchen sich die Körper bewegen: Gerade Linien, Parabeln und Kreise. Diese lassen sich exakt vorausberechnen – wir bekommen die Dinge in den Griff.
Renè Descartes, lebte zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, verbrachte viel Lebenszeit in den Heerlagern von Feldherrn und musste so die Zerstörung halb Europas miterleben. Er entwickelte eine stringente Methode für eine rationale, wissenschaftliche Herangehensweise an die Phänomene und Prozesse der Natur. Dabei stand der methodische Zweifel an vorderster Stelle. Was ist wirklich? Was ist wahr?
Unser subjektives Wahrnehmen ist voller Täuschungen. Lieber dreimal überprüfen und nachweisen als den ersten Augenschein ernst nehmen! Ein grundsätzliches Misstrauen ist angebracht. Wir müssen hinter dem vordergründigen Schein, den uns die Sinne liefern, nach etwas Sicherem suchen, auf das wirklich Verlass ist. Dazu müssen wir die Erscheinungen zerlegen, systematisch und vollständig analysieren, herausfinden, wie ein Teil, eine Komponente mit der anderen zusammen hängt und wie alles zusammen ein in sich logisch schlüssiges Wissensgebäude ergibt – so systematisch geordnet, wie das heute noch nach ihm benannte „Kartesische Koordinatensystem“.
Das subjektive Empfinden muss ausgeschaltet werden, die Naturwirklichkeit muss reduziert werden auf einfachste, rein objektive Gegebenheiten – letztlich blieb für Descartes nur die „res extensa“, die bloße Ausdehnung der Objekte übrig. Jeder Körper behauptet seine Ausdehnung im Stoß – wie zwei Billardkugeln, die zusammenstoßen.
Alle Wirklichkeit besteht aus Körpern und Teilchen, die miteinander wechselwirken: Sie üben aufeinander Kräfte aus und aus diesem gesetzmäßigen Kräftespiel lassen sich alle Vorgänge in der Natur mit großer Präzision herleiten.
Galilei entwickelte dazu mit großer Kreativität und Raffinesse die Methode des Experiments, die vom sicheren Zählen, Messen und Wägen ausgeht. Die Mechanisierung unseres Weltbildes nahm ihren Lauf.
Heute stehen wir wohl am Höhepunkt dieser „Naturwissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Fortschrittsspirale“, die sich damals zu drehen begann und seither immer mehr an Geschwindigkeit zugenommen hat.
Als ich in den 1970er- Jahren mein Physikstudium begann, stand ich noch ganz im Bann dieser Fortschrittsgläubigkeit. Ein paar Jahre vorher hatte der erste Mensch den Mond betreten und ich hatte als Jugendlicher voller Begeisterung, mitten in der Nacht, die Mondlandung im Fernsehen verfolgt.
Dann kam „Zwentendorf“ – die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Nutzung der Atomenergie. Ein erstes Fragezeichen hinter meiner Begeisterung.
Ich habe mich gern den mathematischen und physikalischen Abstraktionen hingegeben und verbrachte zum Lernen viel Zeit auch in meinem Heimatort in Oberösterreich. Unser Haus liegt dort direkt an der Donau. Ich liebte es, in der Donau zu schwimmen und fuhr im Sommer fast jeden Tag eine Runde mit dem Paddelboot. Dabei erfahre ich mich in intuitiv-leiblicher Einheit mit dem Wasser und mit all seinen Phänomenen, die es hier zu erleben gibt.
Ein wenig getrübt wurde dieses Erleben, als ich im Prüfungsdruck damit begann, mich beim Paddeln zu vergewissern, ob ich etwa die Wellengleichung noch reproduzieren könne.
Viele Jahre später, ich hatte längst mein Studium erfolgreich abgeschlossen, begann ich damit, so genannte „Erfahrungsstationen“ zu entwickeln und zu bauen. Angeregt wurde ich dazu durch Hugo Kükelhaus, dessen „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ auch in Österreich Station machte, durch die interaktive Ausstellung „Phänomena“ 1984 in Zürich und durch den Katalog des „Exploratoriums“ in San Francisco, das schon in den 1960er Jahren von Frank Oppenheimer gegründet worden war.
Mein erstes „hands-on“- exhibit, das ich mit meinen Mitteln nachbaute, stammt aus diesem dreiteiligen Katalog, dem „Exploratorium Cookbook“: Der „Harmonograph“.
Mit diesem Gerät lassen sich faszinierende Schwingungsfiguren erzeugen: Eine runde Platte ist an drei Schnüren so aufgehängt, dass sie wie ein Pendel schwingen und im Kreis rotieren kann. Auf der Platte liegt ein Blatt Papier und ein Stift, der an einem langen Arm befestigt ist, zeichnet darauf die Bahn dieser Bewegung auf. Im einfachsten Fall entsteht eine Spirale, die in feiner Linie von ganz aussen bis zum Mittelpunkt führt, dorthin, wo die Bewegung – aufgebraucht durch die Reibung – schlussendlich zur Ruhe kommt.
Aber nicht nur die fertige Figur, das Ergebnis meiner Interaktion, ist faszinierend, sondern der ganze Prozess, an dem ich hier teilnehmen kann: Der rhythmische Schwung, mit dem die Platte ihren Weg nimmt, der Tanz im Kreis, das Hin und Her und Auf und Ab . . . weckt unter anderem Assoziationen zum Aus- und Einatmen. Ich werde locker und offen und zugleich beruhigt mich das streifende und kratzende Geräusch des Stifts und der Platte.