Durch die Mechanisierung und rationale Durchdringung aller Zusammenhänge und Geschehnisse konnte die Natur zunehmend dienstbar gemacht werden. Das begann schon mit der Nutzung von Wasserkraft und Windkraft – den ersten „Kraftwerken“. Mühlen wurden errichtet, zunächst abseits der Städte und großen Siedlungen, in denen das Handwerk immer mehr aufblühte. So konnte Getreide gemahlen und Holzstämme geschnitten werden. Die eigentliche Produktion, von täglichen Gebrauchsgütern bis zu Textilien, blieb noch weitgehend Hand-werk. Oberstes Ziel der fortschreitenden Mechanisierung war es, die schwere und mühsame menschliche Arbeit zu erleichtern.
Der Mensch soll nicht mehr jeden Handgriff selbst machen müssen, die Arbeit, das Werk soll aber trotzdem verrichtet werden. Die Hand stellt, hebt, zieht und schiebt die Dinge – aber macht die Schwerkraft nicht dasselbe, wenn sie einen Körper nach unten zieht? Natürlich hatte man schon früh Tiere eingespannt, und im Rahmen der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse mussten Sklaven und Diener die schwere Arbeit verrichten. Aber – so das neue Ansinnen – könnten wir nicht Naturprozesse für uns arbeiten lassen?
Eine Naturkraft, so unterstellt schon Aristoteles, ist letztlich dumm. Sie kann nur in eine Richtung wirken und muss das mit Notwendigkeit tun. Sie hat keinen Willen, keine Freiheit und keinen Plan; sie ist geistlos. Nur der Mensch hat den „Logos“ und kann entscheiden und bestimmen, in welche Richtung es gehen soll. So kann ein Arzt, weil er Einsicht in die Sache hat, sowohl heilen, als auch krank machen. Hier schon, am Übergang von der mythischen und animistischen Wirklichkeitsauffassung zum Zeitalter des Logos, wurde mit der grundsätzlichen Unterscheidung von Körper und Seele, von Materie und Geist begonnen.
Aristoteles ließ noch erlebbare Qualitäten gelten, ja er gestand der Natur sogar Zielursachen und Möglichkeiten zu, die sich verwirklichen können oder auch nicht. Es gibt ein Streben in der Natur, die vielfältigen Dinge wollen sich zeigen und ihre Eigenarten verwirklichen.
Mit all dem ist in der Neuzeit schluss. Das scharfe Programm der neuzeitlichen Wissenschaft kennt nur mehr das Gesetz; kein Mitempfinden und Teilnehmen – nur nüchternes, distanziertes Beobachten. Die Geister sollen ausgetrieben werden. Den Naturvorgängen wird kein seelisch erfahrbares Wesen zugestanden, sondern allein das kausale Funktionieren. Der Königsweg dazu ist das Zerlegen und Analysieren. Wenn man die komplexe Handarbeit nur weit genug in Komponenten zerlegt, dann bleibt schließlich auch nur mehr der einfache Kraft-Vektor übrig, der den Körper in seine Richtung zieht.
Die Faszination an der Herrschaft über die Natur, die Manipulierbarkeit ihrer Phänomene, hat mich zum Physikstudium bewegt. Immer mehr wurde mir aber auch bewusst, dass damit meine intuitive, leibliche Beziehung zu den Naturprozessen zu leiden begann. Das hat mich in einen Konflikt gebracht.
Noch im ersten Studienabschnitt, in dem wir vor allem das mathematische Rüstzeug und die grundlegende reduktionistische Sichtweise erlernten und einübten, geriet ich in eine Krise. Das hatte viele persönliche Gründe, eine wesentlich Rolle spielte dabei allerdings auch mein Studium und mein enges physikalisches Interesse.
Das wurde mir im Rahmen einer Lehrveranstaltung bei Professor Pietschmann immer klarer, die den Namen „Konversatorium“ trug. Dort gingen die Teilnehmenden in einem gruppendynamischen Setting der Frage nach, warum jede und jeder einzelne Physik studierte und welche Rolle dieser Beruf in unserer Gesellschaft spielt. Was als erstes auffiel, waren die markant unterschiedlichen Zugänge von Frauen und Männern. Ein Zitat von Einstein, das für den vorherrschenden männlichen Zugang charakteristisch war, ist mir noch in Erinnerung: Er lobt darin die Klarheit und Widerspruchsfreiheit im hehren Reich der Physik; dort gibt es nicht die kleinlichen Streitereien, die Ambivalenz und das emotionale Hin- und Hergerissensein des alltäglichen Lebens – aber ist es nicht genau das, was uns eine Beziehung zu anderen Lebewesen oder Materien aufbauen lässt?
In einem „Naturwissenschaftlich-philosophischen Arbeitskreis“, der jedes Semester stattfand, gab es eine weitere intensive Auseinandersetzung über die Rolle der Naturwissenschaft in unserer Gesellschaft.
Mittlerweile war auch die Frage nach der Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf schon voll im Gange. Das brachte mich, der ich doch noch sehr „wissenschaftsgläubig“ und politisch eher konservativ, sprich „hierarchie-gläubig“ war, in einen inneren Konflikt. Warum sollte die so effiziente Atomenergie, ein Triumpf der Technik, nicht eingesetzt werden? Liegt es nur an der Sicherheit, an den möglichen Gefahren, sollte ein Unfall passieren? Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass es nicht die rationalen Argumente waren, die mich dazu bewogen haben, mich auf die Seite der „Atomgegner“ zu schlagen, sondern in erster Linie die sozialen Beziehungen zu Freunden und Bekannten.
Mit der Atomphysik, die Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnet wurde, war die Physik bereits bis ins Innerste der Materie vorgedrungen, dorthin, wo die Teilchen am kleinsten und die Kräfte am stärksten sind. Und diese gewaltigen Kräfte sollten nun – nachdem sie vorher schon militärisch eingesetzt worden waren und ihre bis dahin unvorstellbare Vernichtungskraft gezeigt hatten – auf „friedliche“ Weise genutzt werden. Schon seit dem ersten Abwurf einer Atombombe über Hiroshima gab es eine wachsende zivile Bewegung gegen die atomare Aufrüstung. Auch PhysikerInnen nahmen führend daran Teil.
Ist eine friedliche Nutzung dieses buchstäblich gewaltigen Potentials wirklich denkbar? Erfordert nicht allein schon seine Beherrschung eine entsprechende – sowohl technische als auch soziale und politische – Gegengewalt?
Meine Recycling-Variante des „Sonoskops“, einer Erfahrungsstation, die ich bei Hugo Kükelhaus kennen gelernt habe, lässt sich sehr einfach bauen: Man nimmt einen Kochtopf, spannt eine elastische Gummimenbran drüber und schneidet ein kreisrundes Loch hinein, in das sich ein Kartonrohr stecken lässt. Die gespannte Membran wird mit Malzkaffee-Pulver gleichmäßig fein bestreut. Jetzt kann ich durch das Kartonrohr einen Ton singen – ein länger anhaltendes „a“ oder „o“. Die Pulverkörner beginnen an manchen Stellen zu hüpfen und sich zu strukturieren – ein „Klangbild“ entsteht.
Ich kann mit meiner Stimme zeichnen.
Nicht jede Tonhöhe bringt ein Bild hervor. Ich kann mit der Stimme kontinuierlich hinauf wandern und nach den Stellen suchen, wo die Linien scharf werden – wo es „RESONANZ“ gibt.
Mit meinem Singen nehme ich nicht nur etwas auf und beobachte es, sondern ich gebe auch etwas von mir. Ich schwinge mich gleichsam ein und trete buchstäblich in Verbindung und Resonanz mit dem Phänomen.